Bataclan Brandenburg

Mitreissende und beglückende Offenbachiade in Brandenburg


Jacques Offenbach nannte das Stück eine „Chinoiserie musicale“. Es war keine Operette, obwohl es nur einen Akt hatte. Aber Offenbach war in der Wahl seiner Gattungs-Bezeichnungen streng. Nicht alle seiner Einakter nannte er Operetten. Überwiegend nannte er sie Opéra-bouffe. Der Unterschied zur Operette ist in der Tat enorm.


Schon 1927 wusste Egon Friedell in seiner “Kulturgeschichte der Neuzeit, dass die Offenbachiaden (Karl Kraus) „beißende, salzige, stechende „Persiflagen der Antike, des Mittelalters, der Gegenwart“ seien, „aber eigentlich immer nur Gegenwart und im Gegensatz zur Wiener Operette, die erst eine Generation später ihre Herrschaft antrat, gänzlich unkitschig, amoralisch, unsentimental, ohne alle kleinbürgerliche Melodramatik, vielmehr von einer rasanten Skepsis und exhibitionistischen Sensualität, ja geradezu nihilistisch.“

 

Offenbach zielte auf gesellschaftliche Aktualität, aufs Hier und Heute. Sein Musiktheater war Reaktion auf die Träume und Sehnsüchte einer kapitalistischen Bourgeoisen, die in ihrer Fixierung aufs Geld, auf Karriere, Status und Geschäftigkeit sich selbst entfremdet war. Mit seinen Mythentravestien und Gesellschaftskarikaturen, seinen Satiren und Parodien reagierte Offenbach gemeinsam mit seinen Librettisten (er hatte die besten seiner Zeit!) wie ein Seismograph auf gesellschaftliche Vorgänge, auf Tagespolitik und Sozialpsychologie, Machtstrukturen und Freiheitsbedürfnisse. Auch mit Bataclan verhielt es sich so. es war eine beißende Satire auf den Kaiserhof Napoleons III handeln musste

 

 

Offenbachs vergnügliches, heiter-satirisches Musiktheater, dessen Leitmotiv, auf schmalem Steg zwischen Ablenkung und Auflehnung, der „Kampf gegen den Autoritätsgedanken“ (Paul Bekker).  Offenbach war der Meister der politischen Satire. Auch Bataclan war eine solche, denn sie verspottet den pompösen Militarismus des Hofes Napoleons des Dritten. Das grotesk Pompöse angemaßter Autorität war ja ein Lieblingsthema Offenbachs. Das Werk enthält eine Fülle kleiner musikalischer Juwelen und Einfälle.  Sein Prunkstück ist der mitreißende, urkomische Marsch BA-TA-CLAN, nach dessen Kenntnis niemand mehr den Pomp militärischer Aufmärsche wird ernst nehmen können.


Schon der Titel ist eine Verballhornung des militärischen „Rataplan“. Das Libretto zur chinoiserie musicale „Ba-ta-clan“ verfasste Ludovic Halévy, einer der besten Librettisten seiner Zeit. Die Uraufführung war am 29. Dezember 1855 in Offenbachs eigenem kleinen Théâtre des Bouffes-Parisiens. Das Stück zeichnet sich durch höheren Blödsinn, fast schon dadaistische Wortspielereien in Halévys groteskem Pseudochinesisch aus, es parodiert aber auch aufs Köstlichste sowohl den Militarismus als auch die Zustände am Hof des zweiten Kaiserreichs. Im Finale trumpft Offenbach mit einer Parodie aus der Oper „Die Hugenotten“ von Giacomo Meyerbeer auf, er zitiert das Motiv des Chorals „Ein feste Burg ist unser Gott“ von Martin Luther, das auch Meyerbeer im Gebet der zum Tode Verurteilten in seiner Oper verwendet.

 

Der triumphale Siegeszug der Chinoiserie "Ba-ta-clan" erstreckte sich von Frankreich quer durch Europa bis nach Amerika. Seit den 1860er Jahren war Offenbach ein internationaler Hit. Er wurde überall auf der Welt gespielt Ein regelrechter Bataclan-Boom brach aus. Nicht nur in den Musiktheatern. Auch Amüsier-Etablissements nannten sich weltweit nach Offenbachs neuem Stück. Das Einzige, das es in Europa noch gibt, steht im 11. Pariser Bezirk, am Boulevard Voltaire, im Herzen der Stadt, ein Café mit Konzertsaal. Es wurde 1864–1865 errichtet und erinnert noch heute an eine chinesische Pagode. Durch die schrecklichen Terroranschläge am 13. November2015 ist es in die Schlagzeilen gekommen.

 

Im Brandenburger Theater, das es wirklich nicht leicht hat, bewies man Mut und hat das selten gespielte, unterschätze Stück zum Jahreswechsel 2022 auf den Spielplan gesetzt. Man präsentiert es in deutscher Übersetzung und einer eigenen (textlichen und dramaturgisch neuen) Fassung von Alexander Busche.

 

Die ursprüngliche Handlung spielt in China, das mit dem realen jedoch allenfalls die Kostüme gemeinsam hat. Der Kaiser Fe-Ni-Han, der über lediglich 27 Untertanen regiert, hat versehentlich fünf von ihnen aufspießen lassen. Schuld daran ist eine Verschwörung Ko-Ko-Ri-Kos, des Kommandeurs der kaiserlichen Garde, die der Kaiser jedoch nicht durchschaut, da er als heimlicher Franzose die Sprache „seines“ eigenen Landes nicht beherrscht. Auch der vermeintliche Mandarin Ke-Ki-Ka-Ko ist in Wahrheit der Pariser Vicomte und die junge Schönheit Fe-Ni-Anch-Ton eine Pariser Sängerin namens Florette verstehen kein Chinesisch. Pseudochinesischer Unsinn ist vorprogrammiert, schließlich outen sich die beiden voreinander als Franzosen, die auf einer Reise durch den Fernen Osten mit ihrem Schiff verunglückten und in China angespült worden sind. Sie besingen sie die Schönheiten des Pariser Boulevards und beschließen, miteinander zu fliehen. Sie werden allerdings beobachtet, sollen bestraft und gefoltert werden.  Während die Vorbereitungen zur Hinrichtung laufen, stimmt Florette tapfer ihr französisches Rondo an, und entzückt erkennt der Kaiser, dass die Mitglieder seines Hofstaates Landsleute sind. Er will die beiden retten und mit ihnen fliehen, aber KE-KI-KA-KO tut so, als rufe er mit dem Trompetenruf des BA-TA-CLAN, der eine einzigartige Stimmimitation einer Kindertrompete ist, die Verschwörer herbei. Allein gelassen, beklagen die drei Franzosen ihr Schicksal und sichern einander zu den Klängen der betenden HUGENOTTEN zu, aufrecht und mutig in den Tod zu gehen. Da erhalten sie ein Schreiben von KE-KI-KA-KO, in dem dieser bekennt, selbst Franzose zu sein und Mitleid mit seinen Landsleuten zu haben. Gegen das Versprechen, dass sie nie mehr zurückkehren, lässt er sie ziehen, denn auf diese Art kann er endlich den begehrten Kaiserthron selbst einnehmen. Zu einer Reprise des BA-TACLAN begeben sich die drei glücklich auf das nächste Schiff.

 

Alexander Busche (Regie, Ausstattung und Choreographie) belässt die Handlung ein einem schlicht, aber sinnig angedeuteten China mit roten Chinalampenparavents und floral grün umrandetem goldenen  Kaiserthron. Ihm ist der Geniestreich zu verdanken, das Stück (unangestrengt und aufs Unterhaltsamste) auf seine doppelte Länge zu auszudehnen und die Anspielungen auf Pariser Zustände (die heute wohl nur dem sehr gebildeten Zuschauer ins Auge fallen), auf Berliner Zustände zu übertragen, auf Berliner Schnauze, und jene typische Berliner Mischung aus Minderwertigkeitsgefühl und Größenwahn. Die Dialoge sind gewitzt, mit moderaten, nicht aufdringlichen aktuellen Anspielungen gewürzt, es darf gelacht werden und sie verbinden geschickt und mit einleuchtendem Sinn musikalische Einlagen.


Man spielt die Fanfare ALFRED NEWMANs aus den 20th Century Fox Filmen,

den Chinesischer Tanz aus dem Ballett ,,Der Nussknacker“ von PETER I. TSCHAIKOWSKY, MAURICE RAVELS Laidronette, Impératrice des Pagodes (aus Ma mère l'Oye), die Ouvertüre zu CAMILLE SA|NT-SAENS‘ "La Princesse Jaune", PAUL LINCKES "Das macht die Berliner Luft", aus "Frau Luna" (und natürlich klatscht das Publikum im Rhythmus mit), OFFENBACHS

große (vom Wiener Kapellmeister Carl Binder erweiterte) Ouvertüre zu "Orpheus in der Unterwelt" und es wird das Vogelfängerlied aus WOLFGANG AMADEUS MOZARTS Zauberflöte gesungen.


Das macht im Zusammenhang der neuen Dialoge Sinn und ist so unterhaltsam wie die artistischen und akrobatischen Einlagen von Estrella Urban, Chantal Bachmann und Benjamin Baryshev. Auch die Chorsolisten (Verschwörer) des Männerquartetts „B Major“ (Nico Brazda, Martin Fehr, Tom Heiss und Tobias Zepernick) überzeugen. Mehr als nur überzeugend sind die vier Gesangs-Solisten Dana Hoffmann, Sotiris Charalampous, Ilja Martin von Brünken und

Frederik Baldus. Sie alle erweisen Offenbach alle Ehre.


Die Brandenburger Symphoniker spielen wie wild geworden, ja berauscht: brilliant, geradezu draufgängerisch, rasant und äußerst klangschön. Ein Glücksfall von gelungener Offen bachaide. Offenbach hätte dieses Pasticcio gewiss gutgeheißen, sie war ganz in seinem Sinne. Und sie war mitreisend dirigiert von David Holzinger, einer markant skurrilen wie eleganten Erscheinung. Auch er ist ein Glücksfall, weil er eine ausgeprägte Affinität für Offenbach besitzt: Witz, Charme, Sinn für rhythmische Schärfe und begabt mit motorischem Elan. Man spielt übrigen die „große“ Orchester-Fassung mitsamt Erweiterungen (auch eines kleinen Chores) nach Aufhebung von Offenbachs Bühnen-Personalbegrenzung.


Fazit: Eine überraschende, überaus gelungene, weil mitreißende, ja beglückende Produktion, die beweist, dass Offenbach auch fürs aktuelle Musiktheater und heutige Verhältnisse mehr als nur taugt, ja als Bereicherung angesehen werden kann. Ein Lob des sogenannten „Provinztheaters“, das dem Hauptstadtmusiktheater mal wieder eine Lektion erteilt. Das Brandenburger Publikum war außer sich vor Begeisterung von einem Stück, das es größtenteils nicht kannte.

Ausdrücklich erwähnt werden muß aber auch das Theaterpersonal einschließlich Gastronomie, denn solche Aufmerksamkeit und Freundlichkeit gibt es an größeren Theatern kaum je. Auf nach Brandenburg!

 

Rezension auch in "Orpheus"